Vedischer Blick auf die Zehn Gebote

Beim Studium der im Leben kommt von Leben veröffentlichten Gespräche zwischen A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupāda und seinen Schülern wurden u.a. die Zehn christlichen Gebote thematisiert (ebenda Seite 72). Dieses Gespräch fand beim Morgenspaziergang am 15. Mai 1973 im Shevot-Hills Park in Los Angeles statt, also vor genau 50 Jahren, und bewertet die Postulierung der Zehn Gebote als ein Merkmal für den schleichenden, aber tatsächlich unübersehbaren Niedergang des Christentums – für viele christliche Gläubige sicherlich ein Affront, aber warum … ?

Es geht hierbei nicht um die Aufwertung des Hinduismus bzw. der vedischen Weltsicht und zugleich die Abwertung des christlichen Glaubens, als vielmehr um die Deutung von Merkmalen, wie sich ein Gottes-Verständnis in der spirituellen Praxis über die Jahrhunderte entwickelt und durchgesetzt hat. Bevor wir uns genauer anschauen, in welchem spirituellen Entwicklungsstand sich die Menschen jeweils gerade befinden, seien hier noch einmal die Zehn christlichen Gebote in abstrahierter Form aufgeführt …

Thema Juden Anglikaner, Reformierte, viele Freikirchen Orthodoxe, Adventisten Katholiken Lutheraner
Selbstvorstellung JHWHs 1 Präambel 1 1 1
Fremdgötterverbot 2 1
Bilderverbot 2 2
Namensmissbrauchsverbot 3 3 3 2 2
Sabbatgebot 4 4 4 3 3
Elterngebot 5 5 5 4 4
Mordverbot 6 6 6 5 5
Ehebruchsverbot 7 7 7 6 6
Diebstahlsverbot 8 8 8 7 7
Falschzeugnisverbot 9 9 9 8 8
Begehrensverbot 10 10 10 9 (Frau) 9 (Haus)
10 (Haus und Güter) 10 (Frau und Güter)

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Zehn_Gebote

Nun die entscheidende Frage: Können Gebote und Dergleichen tatsächlich zu einem Gottes-Verständnis führen oder halten sich gewisse Menschen nur deshalb angstvoll oder stoisch daran, um Jemandem (z.B. den Eltern oder sogar Gott selber) zu gefallen oder ein bestimmtes (z.B. wirtschaftliches) Ziel zu errreichen ? Das Festhalten an gewisse Regeln aber zeugt noch lange nicht davon, denn Sinn dieser Regeln auch verstanden zu haben ! Ein „gestandener“ Christ (z.B. auch ein Priester) sollte uns doch einmal schlüssig erklären, wie die Gebote, die Eltern zu achten, Jemanden nicht zu bestehlen oder zu töten, nicht zu lügen oder nicht fremd zu gehen, zu einem Gottes-Verständnis führen können …

Diese Gebote spiegeln primär den Umstand wider, dass es Menschen gibt, die tatsächlich die Eltern nicht achten, die Jemanden bestehlen oder sogar töten (auch Tiere), die diffamieren und lügen oder die fremd gehen, und alle diese Verhaltensweisen zeugen von einem sehr niedrigen geistig-spirituellen Bewusstseinsstand (Guna), nämlich von Tamas (Unbewusstheit und Ignoranz). Es wird also klar, dass die Zehn christlichen Gebote hauptsächlich für Menschen aufgestellt wurden, die sich (noch) in einem sehr geringen Bewusstsein überhaupt befinden – und da wir uns seit gut 5.000 Jahren im Kali-Yuga befinden, ist das Aufstellen dieser Gebote vor gut 2.000 Jahren gegen einen zunehmenden gesellschaftlichen Verfall irgendwie auch nachvollziehbar …

Das Handeln nach den christlichen Geboten verfolgt ein bestimmtes Ziel und ist damit karmisch, d.h. der Handelnde verspricht sich von seinem Tun gemäß den christlichen Geboten ein bestimmtes Ergebnis. Doch meint er wirklich, dass Gott die Einhaltung der Gebote auch interessiert ? Was für eine Vorstellung haben die Cristen denn überhaupt von Gott, den sie zuweilen als den Liebenden oder Strafenden und überhaupt als den Allmächtigen ansehen ? Und wie sehen sie sich in Beziehung zu Ihm, wenn sie doch in Seinem Ebenbild erschaffen sein sollen … ?

Wenn nämlich Letzteres zutreffen sollte, so ist Gott doch auch wie sie selber – zumindest qualitativ, nicht aber quatitativ. Und wenn Gott die gleichen Eigenschaften wie die Menschen hat, so sind Ihm die Handlungsweisen, die mit den christlichen Geboten reguliert werden sollen, überhaupt nicht fremd … ja gerade Ihm überhaupt nicht, denn Er hat sie als Schöpfer ja auch selber in die Welt gesetzt. Kann sich Gott nun Alles herausnehmen, straft seine Schäflein aber ab, wenn sie Gleiches tun ? Was soll man eigentlich von einem solchen Gott halten, der selber in Verfehlungen handeln darf, dem die Menschen aber verfehlungsfrei folgen sollen – ist das der Gott, den die Menschen wirklich suchen und anbeten … ?

Irgend etwas scheint hier wohl mit den Zehn christlichen Geboten nicht zu stimmen, denn die Menschen spüren, dass sie mit deren Einhaltung Gott nicht wirklich näher kommen. Mehr noch – viele Menschen, die man zu den Ungläubigen zählen kann, interessieren diese Gebote überhaupt nicht, und selbst scheinbar spirituell Fortgeschrittene (z.B. Priester) fallen nicht selten aus der Rolle, d.h. sie predigen Wasser und trinken selber Wein. Die Zehn Gebote können’s also nicht sein, was die Menschen spirituell weiterbringt, denn sie verlangen ein Handeln im weltlichen Außen, tragen aber nicht zum Verständnis bei, wer Gott selber ist und wie wir zu ihm naturgemäß stehen. Die Schlussfolgerung muß also lauten, sich nur mit dieser Fragestellung zu befassen, d.h. den eigenen Verstand zu nähren – dann entwickelt sich ein tungendhaftes Handeln von ganz alleine …

So, wie sich aus einem kleinen Samen von Innen nach Außen eine große Pflanze entwickelt, so muss man von Außen nach Innen zurückgehen, um die Mechanismen dieser Entwicklung und deren eigentliche Quelle zu entdecken. So, wie wir Menschen rein spirituelle Lebewesen sind, die vorübergehend in einem materiellen Körper residieren, so finden wir unseren ureigentlichen Ursprung dennoch nur in unserem Inneren wieder – also nicht durch die Außenkehr über die Einhaltung von weltlichen Geboten, sondern ausschließlich durch die meditative oder Yoga-Innenkehr. In den Veden kennt man vier Hauptwege, Gott (Krishna) tatsächlich zu finden, und die Innenkehr ist einer davon – durch das Studium der Veden entdeckt man die drei anderen, aber dem möchte ich an dieser Stelle nicht vorgreifen …

Ein weiterführende Betrachtung zum Thema von Krishna Chandra finden Sie hier