Wir alle leben unter materiellen Bedingungen, die uns unsere eigene Spiritualität kaum erkennen lässt. Und so betrachten wir auch unsere Lebensbedingungen hauptsächlich aus materieller Sicht, organisieren unser Zusammenleben in der menschlichen Gesellschaft aus materialistischen Motiven heraus. Vaishnavas wissen um die Sinnhaftigkeit und Funktionalitäten vedischer Gesellschaften, aber gerade in den hoch entwickelten Industrie- und in den sogenannten Schwellenländern ist davon nahezu nichts bekannt – hier kennt man nur solche Gesellschaftsformen, wie Monarchien, Demokratien, Diktaturen usw. unter sozialistisch-kommunistischen oder kapitalistisch-imperialistischen Bedingungen …
In den Schriften und Übersetzungen von A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupāda wird an einigen Stellen ein Vergleich zwischen dem Kommunismus und einer vedischen Gesellschaft vorgenommen, wobei die Lebensbedingungen unter dem Kommunismus denen in einer vedischen Gesellschaft zu ähneln scheinen. Aber das ist nur oberflächlich betrachtet so und bedarf gerade in der gegenwärtigen Zeit mit heftigen kriegerischen Auseinandersetzungen und zunehmenden wirtschaftlichen Verwerfungen einer nochmaligen Erörterung:
Die vedische Gesellschaft mit ihrer Varna–Ashrama-Organisation ist primär spirituell ausgerichtet und die individuellen Lebensbedingungen sind lediglich eine Folge des geistig-spirituellen Entwicklungsstandes des Menschen selbst. Hingegen sind die anderen o.g. Gesellschaften materialistisch und großteils auch atheistisch ausgerichtet – Spiritualität wurde im Zuge der sogenannten „Aufklärung“ und Säkularisierung zur Privatsache erklärt. In Unkenntnis ihres ureigentlichen Lebenssinns, den sie nur auf geistigem Wege ergründen können, versuchen nun atheistisch-materialistisch geprägte Menschen ihr materielles Umfeld derart zu verändern, dass sie sich darin wohler und sicherer fühlen …
Sie übersehen dabei aber, dass ihre materialistische Einflussnahme auf ihr Umfeld andere Menschen, die Tiere und Pflanzen und ganze Naturgebiete einschneidend stören, denn auch sie haben ihre individuellen Daseins- und Lebensbedingungen, Bedürfnisse und Wünsche. Der Mensch nämlich unterliegt 4 Schwächen: (1) er verfügt nur über begrenzte körperlich-geistige Veranlagungen, Fähigkeiten und Fertigkeiten, (2) er ist nur begrenzt aufnahmefähig, wissend und kann sich daher irren, (3) er setzt sich zuweilen mit Täuschungen und Lügen gegenüber Anderen durch und (4) er hat nicht die wirkliche Allmacht. In den vedischen Schriften werden auch noch andere Schwächen beschrieben, aber die genannten sollten an dieser Stelle für die weitere Diskussion genügen – insgesamt also ist der Mensch unvollkommen …
In seiner Unvollkommenheit erfindet der Mensch Konzepte, seine materiellen Lebensbedingungen zu verbessern, und diesen Konzepten liegen scheinbar geeignete Philosophien zugrunde. Im sogenannten „wissenschaftlichen Atheismus“ wird die Existenz eines höchsten (geistig-spirituelles) Wesens (Gott) bestritten, so dass man nur auf sich selber vertraut, auf sich alleine gestellt ist und sich oftmals auch alleine durchs (materielle) Leben schlägt. Nicht wenige Menschen verfügen auch nicht über den entsprechenden Mut, die körperlich-geistige Veranlagungen, Fähigkeiten sowie Fertigkeiten, und sie delegieren daher die Verantwortung an Andere, sind dann aber auch wieder enttäuscht, wenn in ihrem Sinne nicht gehandelt wurde, weil’s den „Auftragnehmern“ entweder nicht möglich oder von ihnen auch nicht gewollt war. In all diesen Fällen (Eigenverantwortung vs. Fremdverantwortung) stellt sich bei allen Erfahrungen heraus, dass niemals 100-%-ige oder nachhaltige Erfolge erzielt werden können. Um diese dennoch zu erreichen, werden zusätzliche Anstrengungen unternommen, die ebenfalls nur teilweise zum Erfolg führen, aber zugleich hat man dann weitere Themen an der Backe, um‘ s mal umgangssprachlich zu bezeichnen – wir nennen es zusätzliche Verstrickungen …
Es steht also die Frage, warum das so ist, und dieser Fragestellung geht man mit (gesellschafts-) „wissenschaftlichen“ Untersuchungen nach und entwickelt Konzepte, die Erfolgsquote zu verbessern. Diesbezüglich haben sich in der menschlichen Geschichte viele Humanisten, Philosophen, Gesellschaftswissenschaftler und heute sogenanntec „Thinktanks“ mehr oder weniger „verdient“ gemacht. Eine für unsere gegenwärtige Zeit herausragende Untersuchung aus materialistischer Sicht findet sich im Das Kapital – Kritik der politischen Ökonomie von Karl Marx wieder, auf dessen Basis dann das Gesellschaftskonzept des Kommunismus abgeleitet wurde …
Wer Das Kapital einmal studiert hat, findet hier u.a. auch die o.g. menschlichen Schwächen wieder, die bei gewissen Menschen, die über viel materiellen Besitz oder gar Eigentum verfügen, besonders ausgeprägt sind und weiter entarten können. Das wird heute geradezu dort bestätigt, wo Großbanken, -Investoren und -Konzerne über die sogenannte Globalisierung und den Neoliberalismus ihren exorbitanten Reichtum ungezügelt zu mehren versuchen: „Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert …“. Die Lösung, eine solche Entwicklung einzudämmen und schließlich zu verhindern, sieht Karl Marx darin, das Privatkapital weithin zu vergesellschaften, weil die Gesellschaft sich selber dann nicht mehr ausbeuten kann. Das wiederum hat mehr soziale Gerechtigkeit und materielle Sicherheit für jedes Mitglied der Gesellschaft zur Folge …
Die Schaffung und Konsolidierung eines dafür geeigneten gesellschaftlichen Überbaus (Staat) sollte schrittweise stattfinden und dieser Zeitraum wird Sozialismus genannt – „Jedem nach seinen Fähigkeiten“. Ist das Ziel erreicht, so befindet man sich letztlich im Kommunismus – „Jedem nach seinen Bedürfnissen“. Doch wie ist eine solche sozialistische bzw. kommunistische Gesellschaft mit einer vedischen zu vergleichen ? Gibt es in einer vedischen Gesellschaft auch soziale Gerechtigkeit, Gleichheit, Sicherheit, Angstfreiheit usw. … ?
Ebenso wie der Kapitalismus/Imperialismus baut der Sozialismus/Kommunismus alleine darauf, dass die materiellen Lebensumstände geändert werden müssen, damit Gerechtigkeit, Gleichheit, Sicherheit, Angstfreiheit usw. zunehmen. Während dessen im Kapitalismus/Imperialismus nur eine gesellschaftliche Minderheit darüber befindet, wie diese Ziel zu erreichen ist, weil sie dafür über das notwendige Kapital verfügen, so entscheidet darüber im Sozialismus/Kommunismus die gesellschaftliche Mehrheit, was letzlich wirklich gerechter ist. Aber beide Gesellschaftsformen können weder die 3-fachen Leiden, denen jedes (verkörperte) Lebewesen von Natur aus unterworfen ist, noch das 4. durch karmische Tätigkeiten verursachte Leiden abwenden. Das Verständnis darüber kann man nur auf geistig-spirituellem Wege erlangen …
Im Sozialismus/Kommunismus soll das menschliche Bewusstsein über eine umfassende Bildung und Kultur derart vervollkommnet werden, dass alle Mitglieder der Gesellschaft ganz bewusst gemeinsam an der der o.g. Zielstellung mitwirken, während dessen im Kapitalismus/Imperialismus die meisten Mitglieder der Gesellschaft soweit materiell befriedigt werden, dass sie die Mehrung des Reichtums einer kleinen Minderheit gerade noch akzeptieren bzw. tolerieren. Der Entwicklung eines Gemeinschaftssinns im Sozialismus/Kommunismus steht der Abfall in den Egoismus im Kapitalismus/Imperialismus entgegen. Die Akzeptanz des Sozialismus/Kommunismus erfolgt über den Mechanismus „Das Sein bildet das Bewusstsein“ bzw. „geht es dem Menschen unter dem Sozialismus/Kommunismus besser, so wird er an der Vervollkommnung dieser Gesellschaftsform freiwillig mitwirken“. Um hierfür vedische Begriffe zu gebrauchen: Im Sozialismus/Kommunismus ist man bestrebt, aus der Unwissenheit und Ignoranz (Tamas-Guna) über die Leidenschaft (Rajas-Guna) in ein höheres Bewusstsein und die Tugend (Sattva-Guna) zu gelangen …
Im Kapitalismus/Imperialismus muss die Mehrheit der Gesellschaft vor einer Minderheit immer wieder einen Kniefall machen, um am ökonomischen Ergebnis teilhaben zu dürfen. Die über das (Groß-) Kapital verfügende Minderheit nimmt zudem Einfluss auf den gesellschaftlichen Überbau (Staat), ihre (All-) Macht weiter zu konsolidieren, auszubauen und Ansprüche der gesellschaftlichen Mehrheit niederzuhalten – diese (politisch Einfluss nehmende) Minderheit nennt man auch „Oligarchen“. Es erklärt sich von selbst, dass diese Minderheit nicht daran interessiert ist, dass die niedergehaltene gesellschaftliche Mehrheit die Mechanismen ihrer Unterdrückung durchschaut oder versteht, so dass das Bildungs- und kulturelle Niveau und letztlich das Bewusstsein immer weiter absinken. Um hierfür vedische Begriffe zu gebrauchen: Im Kapitalismus/Imperialismus nehmen aus Gier einerseits und Widerstand andererseits die Leidenschaft (Rajas-Guna) und die Unbewusstheit und Ignoranz (Tamas-Guna) weiter zu …
Obgleich beide o.g. Gesellschaftsformen primär atheistisch-materialistsch orientiert sind, weil im Zuge der sogenannten „Aufklärung“ die Säkularisierung eingeführt worden ist, erhebt sich im Sozialismus/Kommunismus die gesellschaftliche Mehrheit schrittweise in ein höheres, wenngleich immer noch nicht Gott– (Krishna-) orientiertes Bewusstsein, wohingegen das Bewusstsein im Kapitalismus/Imperialismus immer weiter absinkt und lediglich partiell nach einem Ausweg gesucht wird, wenn der existenzielle Leidensdruck sehr zugenommen hat. In atheistisch-materialistisch orientierten Gesellschaften finden daher eher Philosophien Zuspruch, die ohne Gottes-Bezug eine Befreiung versprechen, wie insbesondere der Buddhismus und eine Unmenge an esoterischen Ersatz-Religionen – die Anhänger des Buddhismus werden aus vedischer Sicht Mayavadis genannt, weil sie sich von die materiellen Ausstrahlung des Schöpfers (Gott, Krishna) beeindrucken lassen, noch nicht aber den Weg zu Ihm selber gefunden haben.
In einer vedischen Gesellschaft, in der das o.g. Varna–Ashrama-System etabliert ist, bildet nicht das Sein das Bewusstsein, sondern das Bewusstsein hat ein bestimmtes Sein zur Folge. Mit anderen Worten spiegeln die materiellen Lebensumstände den geistig-spirituellen Entwicklungsstand des Protagonisten wider. Man sollte sich aber nicht davon täuschen lassen, wenn ein Mensch in materieller Armut lebt: Das nämlich kann auch auf den ganz bewussten Verzicht auf größeren materiellen Besitz und die daraus folgenden Verstrickungen, diesen Besitz zu erhalten, und auf Standhaftigkeit gegenüber eventuellen Verlockungen widerspiegeln. Im höheren Bewusstsein (Sattva-Guna), dass Materialismus nicht wirklich glücklich macht, nicht vor den 3-fachen Leiden bewahrt und auch nur zeitweilig ist, behält man also nur das materiell unbedingt Notwendige beisammen …
Interessant ist auch der Umstand, dass im Sozialismus/Kommunismus das Bewusstsein über eine breite Bildung und Kultur angehoben wird, um die angestrebte Gesellschaft auch aufbauen zu können, d.h. hier steht an erster Stelle das Bewusstsein, welches dann das Sein formt. Die atheistische Proklamierung, dass primär das Sein das Bewusstsein formt, widerlegt sich damit von selbst – in den philosophischen und gesellschafts-wissenschaftlichen Schulungen wurde dieser Widerspruch immer ausgeklammert, aber vielleicht fiel es auch kaum Jemandem auf ? Damit aber ähneln sich irgendwie die sozialistisch-kommunistischen mit den vedischen Bildungswege, wobei der eine den Gottes-Bezug ignoriert und der andere ihn hingegen vertieft …
Fazit: Während dessen im Sozialismus/Kommunismus das unbedingt materiell Notwendige vom gesellschaftlichen Überbau (Staat) weithin abgesichert wird, übernimmt in einer vedischen Gesellschaft jeder Einzelne seine Geschicke je nach seinem Bewusstseinsstand (Guna) selber in die Hand. In einer materialistisch orientierten Gesellschaft soll das Bewusstsein nach den Lebensumständen nachziehen, in einer spirituell orientierten vedischen Gesellschaft bestimmt primär das Bewusstsein die Lebensumstände. Auch wenn sich materiell äußerlich eine sozialistisch/kommunistisch und eine geistisch-spirituell orientierte vedische Gesellschaft gleichen mögen, so sind sie also dennoch nicht das Gleiche, denn die eine Gesellschaft ist Gott-verneinend und die andere Gott-bezogen …