STÄNDE (ASRAMAS)

In allen Gesellschaften gibt es Alleinstehende, wie Junggesellen, Geschiedene oder Verwitwete, sowie Paare, ob nun in sehr enger Freundschaft, in eheähnlichen Partnerschaften oder auch verheiratet. Die Einen von ihnen leben in Single-Haushalten und die Anderen gemeinsamen zusammen. Privat und beruflich bedingt gibt es damit derer Lebenssituationen bzw. -stände recht viele Varianten.

Bei den Asramas handelt es sich nun um vier Lebensabschnitte bzw. -stände, die nach vedischen Empfehlungen jeder Mensch nacheinander einnehmen sollte, wenn er geistig-spirituell ernsthaft weiterkommen möchte. Dieses Thema wird recht ausführlich im Srimad Bhagavatam, 11. Canto, 17. Kapitel behandelt:

(1) Brahmacharya (Schüler, Student)
Dieser Lebensstand ist für Kinder und junge Menschen im Alter bis zu etwa 20 … 25 Jahre vorgesehen, die sich in einer geistig-spirituellen Grundausbildung unter Leitung eines entsprechend befähigten Lehrers (Guru’s, Archarya’s) befinden. Sie werden hierbei theoretisch und praktisch in die vedische Philosophie eingeführt. Der Genuss von Alkohol, Tabak und Rauschmitteln ist grundsätzlich untersagt, um die Sinne, den Geist und den Verstand für die Verinnerlichung der vedischen Überlieferungen klar zu halten. Auch wenn sich bereits Partnerschaften anbahnen sollten, leben sie grundsätzlich sexuell enthaltsam (zölibatär), um sich von materiellen Verstrickungen, die sich in einer Partnerschaft zwangsläufig ergeben, fernzuhalten.      

(2) Grahasta (Haushälter)
Dieser Lebensstand ist für eheliche (oder ähnliche) Partnerschaften vorgesehen, die einen gemeinsamen Haushalt führen, und trifft daher für Menschen im Alter von etwa 20 bis 50 Jahren zu. Eine sexuelle Enthaltsamkeit innerhalb der Partnerschaft ist nicht mehr gefordert, weil sie der Zeugung von Nachkommen (Kindern) entgegensteht. Hingegen ist aus den o.g. Gründen der Genuss von Alkohol, Tabak und Rauschmitteln weiterhin unerwünscht. Ein Haushälter-Leben ist für das weitere geistig-spirituelle Fortkommen außerordentlich anspruchsvoll, um es nicht sogar als „gefährlich“ zu bezeichnen, weil der karmische Aufbau und Erhalt des gemeinsamen Haushaltes immer mit materiellen Bedürfnissen, Verlockungen und Verstrickungen  verbunden ist, die einer Befreiung von karmisch bedingten leidvollen Lebenssituationen entgegenwirken.   

(3) Vanaprasthya (Loslösung, Zurückgezogenheit)
Gemäß vedischen Empfehlungen sollten sich Grahastas ab einem Lebensalter von ca. 50 … 55 Jahren aus dem Haushälterleben zurückziehen, um sich wieder intensiver ihrem geistig-spirituellen Fortkommen zuzuwenden. Das bedeutet nicht zwangsläufig, den gemeinsamen Haushalt verlassen zu müssen, jedoch dessen Ausbau und Erhalt durch karmische Tätigkeiten immer weniger Aufmerksamkeit zu schenken, karmische Verpflichtungen schrittweise abzubauen und auch weitestgehend abzuschließen. Im Gegenzug sollten sich Haushälter zunehmend dem weiteren Studium vedischer Überlieferungen widmen. Sexuelle Aktivitäten (zur Zeugung von Nachkommen) werden zumeist schon biologisch bedingt eingestellt und der Genuss von Alkohol, Tabak und Rauschmitteln kommt weiterhin nicht in Frage.

(4) Sannyasa (Entsagung, Einsiedelei)
Sich freiwillig gänzlich aus einem bisher gemeinsam geführten Haushalt zu lösen, stellt eine außerordentlich mutige Herausforderung dar. Es kommt zwar vor, dass ältere Brahmacharyas die Stände eines Grahastas und Vanaprasthyas überspringen und sich gleich für ein absolut entsagungsvolles Leben als Sannyasa entscheiden, aber das setzt auch entsprechende Erfahrungen voraus, die nach vedischer Auffassung nur in vielen vorangegangenen Leben gesammelt worden sein können. Entsagung bedeutet hier nicht, sich nicht mehr um Dinge kümmern zu müssen, die für den Erhalt des eigenen Körpers unbedingt notwendig sind (Essen, Kleidung, Wohnung), sondern diese Tätigkeiten auf das nur notwendige Maß einzuschränken und im Gott-Vertrauen Das anzunehmen, was hierfür gerade ohne weitere karmische Mühen zur Verfügung steht. Im Gegenzug wird die gewonnene Zeit für das intensivierte Studium und auch Weitervermitteln der vedischen Überlieferungen genutzt.

Da wir gerade im industriell hochentwickelten Westen in keiner vedisch ausgerichteten, sondern in einer materialistisch fixierten Gesellschaft leben, lässt sich hier das VARNA-System kaum noch einführen und durchsetzen – es fehlen hierfür innerhalb der Gesellschaft überwiegend das geistig-spirituelle Verständnis und auch das entsprechende Interesse, da die Verlockungen des Materialismus die Sinne mehr beherrschen als die grundlegenden Fragen nach dem eigentlichen Sinn des Lebens, woher wir kommen und wohin wir nach dem Verscheiden gehen. Die Mühen und Tribute, die Fehlschläge und insgesamt das Leid, die allesamt Folgen unserer materialistisch-karmischen Verstrickungen sind, werden mit scheinbar glücksverheißenden Sinnesbefriedigungen aller Art verdrängt, aber der biologische Tod, der die o.a. Fragen wieder auf die Tagesordnung bringt, kommt dennoch immer näher …

In den jüngeren vedischen Überlieferungen, zu denen die philosophischen Interpretationen der VEDEN, die daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen und praktischen Empfehlungen für die Gestaltung eines möglichst glückliches Leben zählen, wird vom Lebensstand des Sannyasa eher ab- als zugeraten. Dennoch erscheint er mir auch in Gesellschaften möglich, die über ein ausgereiftes Sozialsystem verfügen, das „modernen Sannyasas“ Essen, Kleidung und eine Wohnung ohne den Fall ins echte Bettlerdasein zur Verfügung stellen – man sollte hier nicht oberflächlich Arbeitsscheuheit, die zu Betteltum führt, mit dem ernsthaft genutzten Freiraum für ein geistig-spirituelles Weiterkommen und auch Lehren verwechseln, denn wirkliche (auch moderne) Sannyasas sind zugleich auch Brahmanas.