Über das Ego (falsches Selbst) gibt es in der Allgemeinheit zahlreiche Mißverständnisse: Oftmals werden Einem bei Auseinandersetzungen lapidar „Ego-Spielchen“ vorgeworfen, Andere (insbesondere in der sogenannten „Esoterik-Szene“) stellen sich als besonders „heilig“ dar und wollen ihr Ego sogar verleugnen, und Viele setzen das Ego mit der Seele (Jivatma) gleich, die ein „Ding“ außerhalb von uns exstiert, aber dennoch immer mit uns verbunden ist. Doch worum handelt es sich hierbei wirklich und wie kommen wir mit den Ego zurecht … ?
Im Zuge der materiellen Schöpfung entsteht aus dem noch unmanifesten Pradana das manifeste Prakriti, dessen drei feinstofflichen Elemente das Ego, die Intelligenz und der Geist sind – damit also ist das Ego materieller Natur. Die Schöpfung aller Universen und generell auch jede (irdische) Schöpfung ist ein Prozess in Leidenschaft (Rajas), der aus dem Stadium der Unwissenheit (Tamas) hervorgeht und im Stadium der Bewusstheit (Sattva) endet. Diese drei Etappen vom Werden, Erhalten und Vergehen, die man zuweilen auch als „Rad des Lebens“ bezeichnet, sind die drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur (Guna’s), die wiederum von der Zeit (Kala) in Bewegung gehalten werden – gäbe es die Zeit nicht (bzw. bliebe sie sozusagen stehen), so würde sich auch das „Rad des Lebens“ nicht bewegen und die grob- und feinstoffliche Materie in Erstarrung verfallen. Mit anderen Worten gäbe es dann einen Zustand, den wir als den „Tod“ bezeichnen könnten …
Das Ego als feinstofflicher Bestandteil der Materie unterliegt also immer auch den drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur (Guna’s), ist sozusagen von ihnen immer geprägt. So lange man über einen materiellen Körper verfügt, egal ob auch (grobstofflich) biologisch oder nur noch (feinstofflich) geistig, so lange verfügt man über ein Ego. Dessen Prägung aber kann recht unterschiedlich ausfallen, d.h. überwiegend von Ignoranz oder Unwissenheit (Tamas), von Leidenschaft (Rajas), von Bewusstheit sowie Tugend (Sattva) oder von den entsprechenden Zwischen- bzw. Übergangsstadien. So, wie das Ego aufgestellt bzw. geprägt ist, so setzt die betreffende Persönlichkeit fallweise bewusst oder unbewusst ihre Intelligenz ein, über ihren feinstofflichen Geist die Welt um sich herum (die fünf Sinnesobjekte) wahrzunehmen und/oder zu beeinflussen – mit anderen Worten werden jeweils die fünf Wahrnehmungs- und Handlungssinne entsprechend eingesetzt …
Um’s an dieser Stelle gleich noch einmal zu verdeutlichen: Das Ego ist das von den drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur (Guna’s) geprägte feinststoffliche geistige Feld (Matrix, Filter), über das wir die Welt um uns herum und unsere eigene Verkörperung wahrnehmen und interpretieren – über dem Ego steht dann die Seele (Jivatma) …
Die Seele (Jivatma) wiederum, die zeitweilig in einem materiellen Körper residiert, ist rein spiritueller und eben nicht materieller Natur, wohingegen das Ego materieller Natur und daher auch von ihr bedingt bzw. geprägt ist. Mit anderen Worten ist die spirituelle Seele (Jivatma) im Gegensatz zum Ego von der Materie absolut unabhängig. So lange also eine Seele (Jivatma) in einem materiellen Körper residiert, so lange existiert neben ihr auch ein von den drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur (Guna’s) geprägtes Ego.
Nun ist es (insbesondere für sogenannte „Suchende“ und spirituelle Adepten) tatsächlich nicht gerade einfach, herauszufinden, ob man bei bestimmten Handlungen nur aus dem Herzen (von der Seele) oder aus dem Verstand (vom Ego) geführt wird, doch sofern man mehr oder weniger berechnend ein Ziel im Auge hat, d.h. die eigene Intelligenz mitbeteiligt ist, kann man davon ausgehen, dass gerade das Ego das Zepter führt. Sogenannte „Suchende“ und spirituelle Adepten, die von sich behaupten, besonders „fortgeschritten“ zu sein, weil sie vorgeblich ihr eigenes Ego klein halten, haben sich damit bereits geirrt, denn sie befinden sich in der Zwischenphase zwischen der Unwissenheit (Tamas) und der Leidenschaft (Rajas): Sie haben das eigentliche Wesen des Egos noch nicht begriffen, das ihnen nun vorgauckelt, kaum oder gar nicht zu existieren bzw. kaum oder gar nicht zu wirken. Da das Ego aber immer (auf „immer“ liegt die Betonung) existiert, so lange eine materielle Verkörperung existiert, ist dessen Verleugnung nichts Anderes als eine (Selbst-) Täuschung aus der eigenen (noch) Unwissenheit und Leidenschaft heraus.
Das Ego ist also auch immer ein Bestandteil der jeweiligen Persönlichkeit, denn es spiegelt den jeweiligen geistig-spirituellen Entwicklungsstand (Guna’s) wider. Nun mag man die Frage stellen, wo man hier selber steht und ob es nicht besser wäre, schnellstmöglich das scheinbar hinderliche Ego zu verdrängen oder zumindest zu „erziehen“, sozusagen derart zu vervollkommnen, dass man sich nahezu ausschließlich auf der Stufe der Bewusstheit und Tugend (Sattva) befindet. Doch ohne die Triebkraft der drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur (Guna’s) und die Zeit (Kala) gibt es keine Schöpfung. In den Augen des Schöpfers von allem, was ist (Gott bzw. Krishna), macht es nämlich keinen Sinn, wenn seine Schöpfung völlig einseitig ausgerichtet ist, d.h. jede Seele (Jivatma) mit der gleichen Verkörperung und damit auch dem gleichen Ego die völlig gleichen Erfahrungen in einer zeitweiligen materiellen Welt (Schöpfung) sammelt …
Alle individuellen Lebewesen sammeln in der materiellen Welt (Schöpfung) ganz individuelle Erfahrungen zu den unterschiedlichsten Zeiten an den unterschiedlichsten Orten, und sie werden dazu von ihrem Ego gesteuert. Das Ego ist vom jeweiligen geistig-spirituellen Entwicklungsstand (Guna) und den über Jahrmillionen gesammelten Erfahrungen (Karma) geprägt, und genau das macht die Vielfalt des Lebens in der gesamten Schöpfung aus. Sein eigenes Ego zu verleugnen bedeutet, die individuelle Mitbeteiligung an der gesamten Schöpfung abzulehnen. Die Entscheidung darüber obliegt dem individuellen Lebewesen glücklicherweise aber nicht, denn über dessen Leben in der materiellen Welt befindet alleine der Schöpfer (Gott bzw. Krishna) selber. Daher lautet die Schlussfolgerung für Jeden, sein eigenes Ego so anzunehmen, wie es gerade ist, und es schrittweise so zu vervollkommnen, dass man seine individuelle Stellung zum Schöpfer (Gott bzw. Krishna) immer besser versteht, zunehmend akzeptiert und dann möglichst auch in seinem Sinne handelt …
Das Erstaunliche und auch Befreiende an einer solchen Sicht- und Lebensweise ist, dass man sich dann (endlich) im „göttlichen Plan“ (Dharma) befindet und das eigene (irdische) Leben ohne große Mühen gestaltet, weil das eigene Ego nahezu unbemerkt auf die Stufe der Bewusstheit und Tugend (Sattva) gelangte. Das Ego führt uns sowohl an unsere eigenen (Verstandes-) Grenzen und findet dann den Ausweg in die Befreiung von allem mühe- und leidvollen Leben. Also sollten wir das Ego auch ganz bewusst zu unserer eigenen Vervollkommnung nutzen und nicht verleugnen oder gar ablehnen …